Aus den langen Ferien ins neue Schuljahr zu starten, ist nicht immer einfach: Es gibt viel zu tun, neue Herausforderungen warten. Wir sprachen mit Maria Millatz, Lehrerin an der Vicco-von-Bülow-Oberschule in Vienenburg, über den Schuljahresbeginn, gutes Lernen – und warum man Kinder immer in ihren Stärken fördern soll.
Frau Millatz, ein neues Schuljahr beginnt, ein altes ist vorbei. Mit welchem Gefühl schauen Sie zurück? Und mit welchem nach vorn?
Das vergangene Schuljahr war geprägt von den Corona-Nachwehen, den Unsicherheiten, was noch untersagt und was schon wieder erlaubt ist. Ich gebe nach den Sommerferien meine Klasse ab und übernehme eine neue. Als Lehrerin bin ich daher in einer Doppelrolle unterwegs. Auf der einen Seite möchte ich mich gebührend von meiner Klasse, die ich drei Jahre lang betreute, verabschieden. Auf der anderen Seite laufen parallel aber auch schon die Vorbereitungen für die neue Klasse auf Hochtouren.
Nach sechs Wochen Ferien haben sich die Kinder und Jugendlichen viel zu erzählen. Haben Sie einen Tipp für Lehrer, wie die Balance zwischen dem dringenden Mitteilungsbedürfnis der Schüler und dem Einstieg in den Unterricht zu erreichen ist?
Sich Zeit nehmen sowie den Kindern und den Themen den Raum geben. Ich bemerke immer wieder, dass es den Kindern wichtig ist, dass ich gewisse Dinge weiß, und sie wollen es mir einfach erzählen. Es ist notwendig, auch mal vom Plan abzuweichen. Oft ist es wichtiger über die Trennung der Eltern oder Liebeskummer zu reden als im Lehrstoff voranzukommen. Das habe ich aber auch erst mit der Zeit gelernt.
Für rund 82.000 Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen beginnt die erste Klasse. Wie können Eltern das Kind bei diesem Schritt unterstützen und auch vorbereiten?
Der Wechsel aus einer bekannten Umgebung in die neue Schule wird oft unterschätzt. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet das eine enorme Veränderung und Belastung. Alles ist neu: Lehrer, Räume, Fächer, Rituale, Schulweg. Für einige Kinder ist es leicht damit umzugehen, für andere nicht. Eine positive Übergangserfahrung für das psychosoziale Wohlbefinden der Schüler und Schülerinnen ist besonders relevant. Eltern sollten die Ängste ihrer Kinder ernst nehmen und sich besonders in den ersten Tagen Zeit nehmen.
Damit der erste Schultag nicht chaotisch wird, bedarf es einer guten Vorbereitung. Was ist unverzichtbar für den optimalen Schuljahresbeginn?
Vorbereitung, die schon vor den Sommerferien beginnt, ist entscheidend, damit sich die Lehrkraft in den ersten Tagen vollkommen auf die Kinder konzentrieren kann. Für die Kinder heißt es zunächst ankommen. Natürlich bedarf es einer klaren Struktur, denn es kommen in den ersten Tagen immer wieder Fragen und Situationen auf, auf die man sich nicht vorbereiten konnte. Aber auch seitens der Eltern muss einiges organisiert werden. Es ist immer wieder schwierig, wenn Kinder ohne Schulbücher oder Material in die Schule kommen, weil Eltern den Schuljahresstart nicht all zu ernst nehmen. Leidtragende sind dann die Kinder.
Wie seit vielen Jahren hat sich wohl auch für dieses Jahr wieder ein Schülerrekord angekündigt. Sind die Schulen darauf gut vorbereitet?
Nein, es fehlt an allem. Es fehlt an Personal, es fehlt an Geldern und Ausstattung. Schule ist immer angehalten, sich kreative Lösungen einfallen zu lassen – das ist auf Dauer aber auch einfach zermürbend.
Können Sie Eltern einen Leitfaden geben, der Ihnen bei der Auswahl der richtigen Schule für ihr Kind helfen könnte?
Eltern und Kinder sollten die Angebote der Schulen, etwa dem Tag der offenen Tür, nutzen, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen und Fragen zu stellen. Nach der Grundschule ist ein elementarer Wegweiser die Schullaufbahnempfehlung der abgebenden Lehrer. Wir erleben oft, dass diese Einschätzungen ignoriert werden und dass Kinder darunter leiden, wenn sie wegen nicht ausreichender Leistungen die ausgewählte Schule wieder wechseln müssen.
Laut einer Erhebung aus dem vergangenen Jahr, dem INSM-Bildungsmonitor 2022, haben Sachsen und Bayern in Deutschland das beste Schulsystem. Niedersachsen landet im Ranking der Bundesländer auf Platz 8. Woran liegt das?
In Bayern erfolgt zum Beispiel mit der Lehramtsbefähigung für Mittelschulen der Einsatz grundsätzlich an einer Mittelschule. Wer in einer anderen Schulart beschäftigt werden will, muss die Lehramtsbefähigung dafür in der Regel zusätzlich erwerben. Damit unterscheidet sich Bayern von anderen Bundesländern, in denen eine schulstufenbezogene Ausbildung erfolgt. In Sachsen ist die Ganztagesquote höher, es gibt gute Förderstrukturen. Die Abschaffung der Förderschule Lernen in Niedersachsen bis 2028 halte ich für falsch. Den Eltern wird keine Wahl mehr gelassen und die Regelschulen sind auf die Umstände weder vorbereitet noch ausgestattet.
Wie können Eltern ihre Kinder beim Lernen unterstützen?
Eltern sollten sich mehr für Lerninhalte als für Noten interessieren. Wichtig ist es, Hobbies zu fördern und die Neugierde der Kinder zu unterstützen. Erklären Sie, wozu wir lernen, und seien Sie selbst motiviert. Eine positive Erwartungshaltung zur Bildung vermitteln Eltern, indem sie mit ihrem Nachwuchs über mögliche Schulabschlüsse oder Berufswege sprechen, Lernstrategien diskutieren und Lob oder Kritik möglichst differenziert auf einzelne Schularbeiten beziehen. Wer Druck auf das Kind ausübt, erzeugt Gegendruck und bringt nicht zwingend bessere Leistungen. Legen Sie den Fokus unbedingt auf das Können. Studien belegen, dass Kinder, die in ihren Stärken gefördert werden, sich auch in ihren Schwächen verbessern.
Woran krankt das Bildungswesen aus Ihrer Sicht heute am meisten?
Es findet eine Bürokratisierung statt, die den Lehrpersonen zu wenig Freiheiten und Kreativität erlaubt und mitunter ihre Möglichkeiten einschränkt. Pädagogik sucht Vielfalt, die Verwaltung Abläufe und Konzepte für die Administration. Außerdem fehlen Fachpersonal, Gelder und Ausstattung.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Bildung, für das Schulsystem?
Ich wünsche mir multiprofessionelle Teams, eine bessere, zeitgemäße Ausstattung, den Abbau von Bürokratie. Oft haben Schulen gute Ideen, um Probleme zu bewältigen – sie werden dann aber durch den Amtsschimmel gebremst. Lösungsvorschläge werden nicht selten über den Köpfen derjenigen, die sie umsetzen, diskutiert und führen dann leider am Thema vorbei.