Muttertät Wenn aus Frauen Mütter werden

Soziales
Die Schwangerschaft und die Zeit danach sind geprägt durch viele Veränderungen, die eine neue Identität mit sich bringen
Titelbild zu Wenn aus Frauen Mütter werden
© Svenja Krämer und Hanna Meyer (von links) berichten in ihrem Buch von ihren eigenen Erfahrungen in der Muttertät und untermauern diese mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Foto: Sophie Bellmann

Mutter zu werden ist eine riesige, komplexe Veränderung, die einen ganz schön aufwühlen kann. Diese Phase hat sogar einen eigenen Namen: „Matreszenz“ oder „Muttertät“. In ihrem gleichnamigen Buch „Muttertät“ – Wenn sich plötzlich alles anders anfühlt“ beschreiben Svenja Krämer und Hanna Meyer, wie das Kinderkriegen Körper, Persönlichkeit und Leben verändert. Wir trafen die beiden Autorinnen zum Interview.

In eurem Buch spielt ein Begriff eine wichtige Rolle: Muttertät. Was ist das? Was hat es damit auf sich?

Krämer: Muttertät ist eine Übersetzung des englischen Begriffs Matrescence, der seit Kurzem auch im Cambridge Dictionary aufgenommen ist. Laut Wörterbuch handelt es sich um den Prozess, eine Mutter zu werden. Matrescence beschreibt die Übergangsphase einer Frau im Zuge der Mutterschaft. In Anlehnung an Adolescence zeigt Matrescence, dass es entsprechend große Veränderungen im Leben einer Frau sind – ganz ähnlich wie in der Übergangsphase der Adoleszenz. Muttertät ist die Übersetzung des Begriffs, der im Deutschen an den Begriff der Pubertät anspielt. Typisch für diese Phase sind die großen Veränderungen in vielen Lebensbereichen, wodurch sich das Leben zeitweise etwas „verrückt“ anfühlen kann.

Wieso ist der Begriff bei uns bislang noch recht unbekannt? Ist Mutterschaft hierzulande ein weniger relevantes Thema in der Gesellschaft als in anderen Ländern?

Meyer: Der Begriff Matrescence und das wissenschaftliche Konzept dahinter wurden in den USA bereits in den 70er Jahren von Dana Raphael aufgenommen und in den Nuller Jahren weiterentwickelt. In Deutschland existierte bislang kein Begriff für die Phase des Mutterwerdens. Begriff und Konzept wurden hier erst vor einigen Jahren von den Schwesterherzen Doulas eingeführt und wurden seither zunehmend verwendet, beispielsweise in Geburtsvorbereitungskursen, Coachings und Yogakursen. Themen zur Mutterschaft werden in Deutschland interdisziplinär erforscht. Es gibt keine Mütterwissenschaft oder ähnliches. Im Unterschied zu anderen Ländern fällt zudem auf, dass bei uns die Mutterrolle stark idealisiert dargestellt ist. Das Bild ist verzerrt und zudem emotional aufgeladen. Es ist nicht leicht, in anderen Sprachen Übersetzungen für die Worte „Rabenmutter“ oder „Glucke“ zu finden – zwei stark negativ konnotierte Bezeichnungen für Mütter, deren Verhalten gesellschaftlicher Bewertung ausgesetzt ist. Das kulturell gewachsene Bild der Mutter, die sich sehr stark für die eigenen Kinder aufopfert und allzeit glücklich und erfüllt in ihrer Rolle ist, entspricht kaum der Realität. Viele Frauen werden davon überrascht, dass sich Mutterschaft anders anfühlt, als sie erwartet hatten. Aus Scham, da sie nicht der gesellschaftlichen Erwartung entsprechen, wird nur wenig über die Facettenreichtum von Mutterschaft gesprochen – einschließlich der Ups und Downs.

Kinderkriegen und Kinderhaben verändert – klar. Weniger klar: Es verändert auch das Gehirn. Könnt ihr das genauer erklären? Was geschieht in unseren Mutterköpfen? Wie verändert sich die Persönlichkeit, wenn wir Mutter werden?

Krämer: Die Veränderungen des Gehirns, die Frauen durch Mutterschaft erleben, sind spannend. Durch Schwangerschaft, Geburt und den Umgang mit dem Baby strukturiert sich das Gehirn um, es reorganisiert sich. Während manche Areale des Gehirns quasi hochgefahren werden, treten andere in den Hintergrund. Empathische Fähigkeiten nehmen beispielsweise zu, während das Kurzzeitgedächtnis etwas zurückfährt. Die Veränderungen bewirken, dass die Frau auf ihre neue Lebenssituation besser eingestellt ist. Sie ist nun auch Mutter. Und mit den damit einhergehenden Aufgaben wird sie durch die Umstrukturierung des Gehirns unterstützt: zum Beispiel die non-verbalen Signale des Babys schnell erkennen oder mit Schlafmangel umgehen zu können. Die hormonellen Veränderungen und die Veränderungen im Gehirn können bewirken, dass vorher nicht gekannte Gefühle auftauchen oder Gefühle viel intensiver erlebt werden – beispielsweise nicht gekannte Ängste, Zweifel oder Unsicherheiten. Frauen reagieren plötzlich anders, als sie es aus ihrem „alten Leben“ von sich selbst kennen. Manche Mütter vermissen Eigenschaften ihrer alten Persönlichkeit. Außerdem kommen mit dem Mutterwerden in der Regel neue Verantwortung und viele neue Aufgaben hinzu.

Gibt es noch andere Ebenen der Veränderung?

Meyer: Neben den Veränderungen auf der körperlichen und psychologischen Ebene kommt es für viele Frauen auch zum Wandel im Arbeitsleben. Für viele Frauen haben Schwangerschaft und Muttersein Einfluss auf die berufliche Identität, sie orientieren sich beispielsweise um, wechseln die Branche oder gehen in Teilzeit. Außerdem ändern sich für Frauen durch die Mutterschaft nahezu sämtliche sozialen Beziehungen. Die eigenen Eltern sind plötzlich Großeltern. Der Zuwachs in der Familie hat zudem Einfluss auf die Partnerschaft. Manche Frauen berichten zudem von Veränderungen auf einer spirituellen Ebene.

Nach der Geburt liegt der Fokus meist komplett auf dem Baby: Wie schafft man es, in sich nicht nur die Mutter, sondern auch das Individuum zu sehen und Mutterschaft selbstbestimmt zu leben?

Krämer: Wir glauben fest daran, dass Wissen um Muttertät und der Austausch über die Rolle von Mutterschaft helfen kann, all die Veränderungen und Herausforderungen zu verstehen. Und hier kann im nächsten Schritt dann bewusst auch ein Fokus auf andere Teile der Identität gelegt werden, um alle Lebensbereiche miteinander in einen Einklang zu bringen. Das kann ein sehr schwieriger Prozess sein. Dazu gehört, sich etwas Zeit zu geben und sich selbst nicht unter Druck zu setzen, wenn es sich eine zeitlang anfühlt, als hätte man sich verloren. Muttertät ist eine Phase und sie geht auch einmal einem gewissen Ende zu.

Gibt es noch andere Ebenen der Veränderung?

Meyer: Neben den Veränderungen auf der körperlichen und psychologischen Ebene kommt es für viele Frauen auch zum Wandel im Arbeitsleben. Für viele Frauen haben Schwangerschaft und Muttersein Einfluss auf die berufliche Identität, sie orientieren sich beispielsweise um, wechseln die Branche oder gehen in Teilzeit. Außerdem ändern sich für Frauen durch die Mutterschaft nahezu sämtliche sozialen Beziehungen. Die eigenen Eltern sind plötzlich Großeltern. Der Zuwachs in der Familie hat zudem Einfluss auf die Partnerschaft. Manche Frauen berichten zudem von Veränderungen auf einer spirituellen Ebene.

Nach der Geburt liegt der Fokus meist komplett auf dem Baby: Wie schafft man es, in sich nicht nur die Mutter, sondern auch das Individuum zu sehen und Mutterschaft selbstbestimmt zu leben?

Krämer: Wir glauben fest daran, dass Wissen um Muttertät und der Austausch über die Rolle von Mutterschaft helfen kann, all die Veränderungen und Herausforderungen zu verstehen. Und hier kann im nächsten Schritt dann bewusst auch ein Fokus auf andere Teile der Identität gelegt werden, um alle Lebensbereiche miteinander in einen Einklang zu bringen. Das kann ein sehr schwieriger Prozess sein. Dazu gehört, sich etwas Zeit zu geben und sich selbst nicht unter Druck zu setzen, wenn es sich eine zeitlang anfühlt, als hätte man sich verloren. Muttertät ist eine Phase und sie geht auch einmal einem gewissen Ende zu.

Autor
Maria Lampe

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