Hand aufs Herz – wie oft fragen Sie sich das, bevor Sie das Haus verlassen? Wie würden Sie sich selber diese Frage beantworten? Und wie würde sich das anfühlen, wenn jemand erwidert „Warum fragst Du?“?
Vermutlich wird es kaum jemanden geben, dem die Reaktion auf diese Frage egal wäre. Gut auszusehen ist den meisten Menschen wichtig und einer attraktiven Erscheinung wird ein wesentlicher Einfluss auf Erfolg, Glück und Anerkennung im Leben zugeschrieben.
Doch was ist schön? Woher kommt dieser „Kult um den eigenen Körper?“ Wieviel davon ist normal?
Janina, 15 Jahre (Namen geändert), kriegt die Krise: Es ist 6.45 Uhr und sie muss los – und kann ihre Schminktasche nicht finden! Gestern noch lag sie an der Stelle, wo jetzt gähnende Leere herrscht. Die kann nur ihre Schwester mitgenommen haben! Nun steht Janina da: ohne Puder, ohne Schminke. Sie könnte platzen. Wie soll sie heute bloß in der Schule vor die Anderen treten?
Der Auszubildende Juri, 19 Jahre, fühlt sich heute viel stärker als sonst, nichts kann ihn stressen. Denn endlich ist es soweit: Er hat genug Geld zusammen und einen Termin beim Tätowierer.
Beide, Janina und Juri, haben eine genaue Vorstellung, wie ihr Körper aussehen sollte. Beide „gestalten ihren Körper“, betreiben „Körperkult“. So wie den beiden geht es wahrscheinlich den meisten Menschen: Ihnen ist wichtig, gut anzukommen. Dem gleichen Ziel dienen viele alltägliche Aktivitäten wie das Stylen der Haare, die Auswahl der Kleidung, das Schminken, der Besuch des Fitnessstudios. All das ist Körperkult.
Auch das Stechen eines Tattoos oder Piercings, das Einbringen eines Implantates unter die Haut oder eine Schönheits-OP gehören dazu. Dabei kann es entweder Ziel sein, sich an ein vermeintliches „Normalmaß“ anpassen zu wollen, (z.B. durch Anlegen der Ohren, Brustvergrößerungen oder -verkleinerungen), oder besondere Akzente setzen zu wollen (z.B. durch Formung der Ohren als „Elfenohren“ oder Spaltung der Zunge).
Warum ist Menschen ihr Äußeres so wichtig?
Menschen sind soziale Wesen. Kaum jemand kann ohne Anerkennung und Wertschätzung durch seine Umgebung lange gesund bleiben. Anerkennung aus dem Umfeld ist wichtig für Selbstvertrauen und Selbstgewissheit. Sie gibt Halt und Orientierung, die Sicherheit „hier gehöre ich dazu und werde gemocht wie ich bin“. Menschen wollen irgendwo dazugehören, Teil eines Ganzen sein. Wer sich sicher fühlt, hat eine gute Grundlage für die vielen Herausforderungen seines Lebens.
Gemeinschaft mit Anderen geht jedoch nicht ohne Kommunikation. Ich muss mich den Anderen zeigen und versuchen, deren Signale zu deuten. Der Körper spielt dabei eine zentrale Rolle – laut Goffmann ist er unser „wichtigstes Interaktionsinstrument“, ihn haben wir stets dabei. Der Körper sendet immer bewusste und unbewusste Signale, die die Anderen wahrnehmen und deuten sollen. Dabei ist es Menschen nicht egal, wie die Anderen sie wahrnehmen. Sie versuchen ihren Körper so zu gestalten, dass er möglichst viel von dem zeigt, was ihnen wichtig ist.
Kann Körperkult gefährlich werden?
Sich schön zu machen an sich, ist ein tiefes Bedürfnis des Menschen als sozialem Wesen. Möglichkeiten, seinen Körper zu gestalten, gibt es heute viele: Wir leben in einer „Multioptionsgesellschaft“ (Peter Gross). Doch Möglichkeiten schaffen auch Druck: Es kann das Gefühl entstehen, wer sie nicht nutzt, ist selber schuld, wenn er sich nicht gut genug präsentieren kann.
Problematisch wird es, wenn der Wunsch, sich zu verbessern, zur Sucht wird. Wenn das, was schon da ist, als mangelhaft entwertet und der Körper als Ursache für alle Probleme im Leben (z.B. Einsamkeit) gesehen wird. Wenn die Optimierung des Körpers als alleiniges Allheilmittel gesehen wird, kann die Entwicklung einen gefährlichen Verlauf nehmen. Die dabei entstehenden Erwartungen, was eine Körperoptimierung an Erfolgen für das eigene Leben bringen soll, können oft überhaupt nicht erfüllt werden. Und mit jeder enttäuschten Erwartung steigen die Ansprüche und die Hoffnung auf den nächsten „Versuch“. Besonders kritisch wird es, wenn sich die Standards für den Idealzustand dabei an völlig unrealistischen Vorbildern orientieren: nicht an den „normalen“ Menschen auf der Straße, sondern z.B. an TV-Sendungen wie „Germanys Next Topmodel“. Besonders empfänglich sind hier junge und unsichere Menschen, die nicht darauf vertrauen, von jemandem geschätzt zu werden, so wie sie sind. Die Grenze des moralisch vertretbaren ist definitiv dann erreicht, wenn jemand lebensbedrohlich hungert oder vor lauter Muskelmasse nicht mehr richtig laufen kann.
Bei manchen Formen des Körperkultes gibt es zusätzlich gesundheitliche Risiken. Eine OP kann schief gehen, es kann zu verschiedenen Infektionen, Nervenschäden oder allergischen Reaktionen kommen.
Dürfen alle alles?
Kein Friseur würde einen 15-jährigen Kunden nach der Unterschrift seiner Eltern fragen. Im Tattoo- und Piercingstudio allerdings schon. Rechtlich gesehen handelt es sich beim Stechen eines Tattoos, Piercings oder anderer auffälliger Veränderungen am Körper, um eine „mutwillige Körperverletzung“, die nur straffrei bleibt, wenn es vorher eine schriftliche Einverständniserklärung gibt.
Ab 18 Jahren ist man voll geschäftsfähig, jeder kann mit seinem Körper tun, was er mag. Davor tragen die Eltern die Verantwortung. Jugendlichen unter 18 wird noch nicht die Reife zugesprochen, die es braucht, um langfristige Folgen eines solchen „Eingriffes“ vollständig abzuschätzen. Daher wird ein solcher Eingriff bei unter 14-jährigen zumeist generell abgelehnt. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren gibt es keinen einheitlichen Umgang mit dem Thema. Es gibt Studios, die tätowieren, piercen o.ä. in dem Alter, wenn sie eine schriftliche Erklärung der Eltern haben. Und es gibt Studios, die lehnen dies unter 18 Jahren generell ab.
Bezüglich Ausbildung und Arbeitsleben lässt sich sagen: Wenn vorher nichts vertraglich festgehalten wurde, hat kein Chef das Recht, aufgrund eines Tattoos oder Piercings einen Azubi oder Arbeitnehmer sofort abzumahnen oder zu kündigen. Außer dieses beinhaltet Aussagen oder Symbole, die der Unternehmensphilosophie deutlich widersprechen und sich somit geschäftsschädigend auswirken könnten. In diesem Fall wäre es immer erstrebenswert, zunächst nach Kompromissen zu suchen, wie das Bild zu verdecken bzw. das Piercing während der Arbeit rauszunehmen.
Bei zukünftigen Bewerbungen allerdings kann ein auffälliger Körperschmuck sehr wohl über Ja oder Nein entscheiden. Je nach Berufswunsch ist es deshalb sinnvoll, sich auch die Frage zu stellen, wie der gewünschte Körperschmuck die berufliche Laufbahn beeinflussen könnte.
Wissenswertes für Eltern: Jugendliche sind in einer wichtigen Entwicklungsphase. Sie wollen und müssen ihren Platz in der Gesellschaft erst finden. Dabei wollen sie ernst genommen werden.
Jugendliche unter 18 Jahren können ein Tattoo oder Piercing nicht ohne Ihr Einverständnis als Eltern vornehmen lassen. Wenn Ihr Kind also mit einem solchen Anliegen zu Ihnen kommt – nehmen Sie sich Zeit, mit Ihrem Kind in Ruhe über sein Vorhaben zu reden. Werten Sie seine Ideen nicht ab und versuchen stattdessen, seinen Wunsch zu verstehen. Welche Gründe treiben das Kind an? Ist es, weil alle so etwas haben oder hat es eine ganz persönliche Bedeutung? Wo soll es hin und warum?
Versuchen Sie nicht darauf zu beharren, dass ein solches Tattoo Ihren persönlichen Geschmack nicht trifft. Das ist für die meisten Jugendlichen kein sehr überzeugendes Argument, da sie ja eher versuchen, sich von den Eltern abzugrenzen. Versuchen Sie stattdessen, verschiedene Situationen im späteren Leben darzustellen, wo der Jugendliche selbst seine Entscheidung vielleicht bereuen könnte (z.B. bei der Berufswahl, in Schwangeren- oder Elternzeit, im Alter). Auch über die gesundheitlichen Risiken sollte gesprochen werden.
Vielleicht ist es möglich, Kompromisse zu finden, die helfen, die Zeit bis zum 18. Geburtstag zu überbrücken. So gibt es z.B. Tattoos mit schwer wasserlöslichen Farben oder mit Henna, einer Pflanzenfarbe, die die nach maximal 28 Tagen wieder verschwinden. Darin läge für die Jugendlichen die Chance, so ein „Körperbild“ erstmal „Probe zu tragen“. Auch „fake-Tattoos“ könnten eine vorläufige Alternative sein.
Es kann sein, dass alle Kompromissversuche scheitern. Dann ist es richtig, notfalls auch gegen den Willen Ihres Kindes eine Entscheidung zu fällen, mit der Sie gut leben können, denn Sie sind bis zur Volljährigkeit für die Gesundheit Ihres Kindes verantwortlich. Aber sich Zeit in der Entscheidungsfindung zu nehmen und nicht pauschal abzublocken, macht einen riesigen Unterschied.
Der Beitrag ist geschrieben von Ulrike Giebert, Diplompädagogin, Jugendberatung bib
Wenn Sie als Eltern oder Jugendliche dabei Unterstützung möchten, finden Sie die hier:
Jugendberatung bib
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