Ernst Fritz-Schubert leitete als Oberstudiendirektor die Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg und konzipierte das Schulfach Glück. Im Interview spricht er über seine Idee und den Lehrplan.
CC: Wie entstand die Idee für das Schulfach „Glück“?
Es wird Zeit, dass wir unsere Schulen zu einem Ort machen, der gerne besucht wird und zu einem gelingenden Leben verhilft. Die Förderung von Zuversicht, Selbstvertrauen und Freude am Lernen und an guter Leistung ist zwar in den Bildungsplänen fest verankert, leider sieht die Wirklichkeit in vielen Schulen immer noch anders aus. Primär geht es zu oft nur um klassische Wissensvermittlung und Leistung. Das Pflichtprogramm unserer Schulen reicht nicht aus. Wir brauchen neben den realen kognitiven und körperlichen Anforderungen auch mentale Förderung und zuverlässige Bindungsmöglichkeiten in der Schule.
CC: Was steht im Mittelpunkt des Schulfachs „Glück“?
Im Schulfach Glück geht es um die Erfahrung, was Wohlbefinden ist, wie es entsteht und was man selbst dazu beitragen kann. Ferner welche Rolle die Entfaltung der eigenen Möglichkeiten spielt und wie die als selbstgemäß erkannten Lebensziele erreicht werden können In diesem Sinne soll es einen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung junger Menschen leisten.
CC: Was sind die Ziele des Schulfachs „Glück“?
Das Schulfach Glück soll Lebenskompetenz und Lebensfreude vermitteln, die Persönlichkeit der Schüler stärken und ihre Gesundheit in physischer und psychischer Hinsicht stärken. Darüber hinaus soll der Glücksunterricht den Jungen und Mädchen helfen, ihre eigenen Potenziale und die Freude am eigenen Tun zu entdecken, damit sie so zu einem gelingenden sinnvollen Leben finden.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über psychische Gesundheit und deren Förderung haben dazu beigetragen, im Schulfach Glück die Entwicklung der Persönlichkeit als Stärkung von Eigenverantwortlichkeit und Selbstachtung, aber auch von sozialer Eingebundenheit und nachhaltiger Lebensweise in den Vordergrund zu stellen.
CC: An wie vielen Schulen wird das Schulfach angeboten?
In Deutschland sind es weit über 100 Schulen. In Österreich sind es über 60 Schulen. Auch in der Schweiz wird es an einigen Schulen angeboten.
CC: Glückliche Schüler machen was genau anders – oder besser?
Fragen wir doch einmal, was das Gegenteil von einem glücklichen Leben ist?
Eine Studie der DAK (Deutsche Angestellten-Krankenkasse) in Verbindung mit der Leuphana Universität Lüneburg (DAK-Studie, 2011) kommt zu dem Ergebnis, dass fast jeder dritte Schüler unter depressiven Stimmungen leidet. Viele Schüler/-innen fühlen sich allein, unverstanden und antriebslos. Darüber hinaus ergab die Studie „LBS-Kinderbarometer Deutschland 2009“, dass ca. ein Drittel der befragten Kinder unter schulischen Versagensängsten leidet, sodass sie schon deshalb nicht gut lernen können. Der reguläre Unterricht, der primär leistungsorientiert ist und die Vermittlung von Wissen und den Erwerb von kognitiven Fähigkeiten zum Ziel hat, kann den das Lernen behindernden Tendenzen zu depressiven Stimmungen verbunden mit Versagensängsten nur unzureichend entgegenwirken.
Im Schulfach Glück geht es also nicht darum, dass die Schüler dauernd glücklich sind, sondern dass sie Freude am Leben und am Lernen gewinnen. Die wissenschaftlichen Befunde sprechen eine eindeutige Sprache: Lebensfrohe Menschen sind sozialer (University of Illinois), kreativer (Havard Business School), lösungsorientierter (University of California), engagierter (Gallup Institut), belastbarer und gesünder (Harvard Public School of Health).
CC: Was bedeutet Bildung im „Humboldtschen Sinne“?
Im Mittelpunkt des Bildungsbegriffes von Humboldt steht das autonome Individuum, das Kraft seiner Vernunft Selbstbestimmung und Mündigkeit erlangt. Dabei soll es sich mit den großen Menschheitsfragen auseinanderzusetzen, sich um Frieden, Gerechtigkeit, um den Austausch der Kulturen, andere Geschlechterverhältnisse oder eine andere Beziehung zur Natur zu bemühen. Das sind alles wichtige Elemente auch der schulischen Bildung.
Wir dürfen dabei allerdings nicht übersehen, dass Bildungsprozesse zwar durch die Pädagogik angeregt werden, aber letztlich der junge Mensch selbst entscheidet, wie er sich im humboldtschen Sinne die Welt erobert und seinen Platz darin findet. Wenn Schüler/-innen also nicht gern lernen und ihr zukünftiges Leben im Sinne alternativer Lebensentwürfe nicht als positiv oder angenehm empfinden, werden sie wohl kaum empfänglich für eine werteorientierte postmaterielle und nachhaltige Lebensweise sein.
CC: Welche Komponenten umfassen den Lehrplan des Schulfachs „Glück“?
Das Fach gliedert sich in sechs Phasen:
Modul 1: Freude am Leben / Stärkung
Die erste Unterrichtseinheit soll die Schüler sozial und mental stärken, indem ihnen ihre Stärken und Ressourcen bewusst gemacht werden.
Mit gezielten Übungen werden die Jungen und Mädchen dazu angeleitet, sich selbst zu akzeptieren und ihre eigenen Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten schätzen zu lernen.
Ein Modul, das Schülern gleichzeitig zeigen soll, dass der wertschätzende Umgang miteinander eine positive Atmosphäre schaffen und eigene Kräfte freisetzen kann.
Modul 2: Träume und Lebensmotive / Vision
Träumen ausdrücklich erlaubt, heißt es im zweiten Modul, in dem die Schüler mit Fantasiereisen und kreativen Visualisierungen ihre Träume und Lebenswünsche aufspüren sollen. Dabei werden bewusst die fünf Lebensbereiche Materielle Sicherheit, Selbstverwirklichung, Arbeit und Leistung/Schule, Soziale Beziehungen sowie Gesundheit und Körper herausgearbeitet.
Im Unterricht erfahren die Schüler, welche Werte hinter ihren Visionen stehen, wie ihre Zukunftswünsche mit ihren Charakterstärken zusammen hängen und wie sie diese Erkenntnisse für die eigene Lebensgestaltung nutzen können.
Modul 3: Leben bewegen / Entscheidung
Um sich der eigenen Handlungsfähigkeit bewusst zu werden, erfahren die Schüler, dass Haltungsziele wie Selbstvertrauen, Gelassenheit und Selbstsicherheit nur durch konkrete Handlungsziele erreicht werden können. Im Idealfall formuliert ein Schüler daher seinen Wunsch bewusst positiv, zum Beispiel: „Ich bleibe gelassen und ruhig, wenn ich eine Aufgabe in der Mathearbeit zunächst nicht verstehe.“ Eine Methode, die nicht zuletzt die eigene Willenskraft stärkt.
Modul 4: Gestaltungspotenziale nutzen / Planung
Neben ressourcenorientierten Planungsstrategien, lernen die Schüler bei der Verwirklichung ihrer Ziele, Hindernisse mit einzubeziehen und lösungsorientiert zu denken.
Ein Hindernis kann auch als Lernchance umgedeutet werden, in dem man sich zum Beispiel fragt, welche Fähigkeiten man noch entwickeln möchte, um die Herausforderung annehmen zu können.
Modul 5: Abenteuer Alltag / Umsetzung
Wer kennt das nicht: Man hat sich ein Ziel gesetzt und trotzdem erreicht man es nicht. Diesem Zusammenhang geht das Modul „Abenteuer Alltag“ auf den Grund. Am Ende des Moduls sollen die Schüler erkennen, wie sie unliebsame Handlungsschritte auf dem Weg zu ihren selbst gewählten Zielen überwinden und sich ihre Pläne in die Praxis umsetzen lassen. Dabei erfahren sie, dass man sich häufig dank eigener Gedanken, Sinneswahrnehmungen und Ohnmachtsgefühlen selbst im Weg steht.
Durch Körperarbeit wird darüber hinaus gezielt die Resilienz gestärkt, z.B. Langer tiefer Atem gegen Unruhe, Angst und Stress, rechte Nasenlochatmung zur Beruhigung und Energetisierung, wie ein Gorilla auf die Brust klopfen, um Mut und Durchsetzungsvermögen zu aktivieren, Körper-Klatschen für eine gute Laune und Meditation mit Fingerhaltungen gegen Depressionen und Ängste.
Modul 6: Seelisches Wohlbefinden / Reflexion
Im abschließenden Modul „Seelisches Wohlbefinden“ des Glücksunterrichts lernen die Schüler Selbstreflexion als wertvollen Baustein kennen.
Die Möglichkeiten, wertschöpfend mit Erfolgen und Niederlagen umzugehen, stehen genauso im Mittelpunkt wie Techniken zur Entspannung und Stressprävention sowie Elemente der Naturpädagogik.
Zur Stärkung des seelischen Wohlbefindens werden die Schüler nicht nur dazu angeleitet, sich selbst von außen zu betrachten. Sie lernen auch, achtsam mit sich umzugehen, gezielt Pausen einzulegen, Musik als Stimmungsmacher zu nutzen, gezielt Konzentration zu bündeln, bewusst zu atmen, Muskeln zu lockern und Geist und Körper zu aktivieren.
Sie erleben Gemeinschaft, erfahren sich selbst als wichtigen Teil eines großen Ganzen und lernen, mit sich und anderen im Einklang zu sein.
CC: Das Schulfach wird in der Grundschule unterrichtet, ebenso wie in der Oberstufe. Wo liegen die Unterschiede?
Wie in anderen Fächern auch gibt es altersgemäße didaktische und methodische Unterschiede. Während z.B. im Grundschulalter mit einfachen Spielen der Weg vom Ich zum Du zum Wir beschritten wird, geht es in der Oberstufe eines Gymnasiums um die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragestellungen im Hinblick auf gelingende Lebensführung.
CC: Wird das Fach benotet? Und welche Kriterien sind dafür nötig?
Die Zielsetzung des Faches Glück liegt in der Stärkung der Persönlichkeit, der Zuversicht und Lebensfreude sowie in der Förderung von sozialer Verantwortung und Selbstverantwortung.. Für die Notengebung ist die Messung des persönlichen Zuwachses nicht sinnvoll. Sie ergibt sich aus der Auseinandersetzung mit den vorgegebenen Themenbereichen, die in Heftform (in Einzelfällen auch Schülerpräsentation) zu dokumentieren ist. Zu den Bewertungskriterien gehört neben den Inhalten auch die formale Gestaltung.
Am Ende eines Unterrichtsabschnittes legen die Schüler/-innen die dazugehörige ausführliche Dokumentation der verantwortlichen Lehrkraft zur Benotung vor..
Die Zeugnisnoten ergeben sich auf der Grundlage der Noten für die Dokumentation aller Unterrichtsabschnitte.
CC: Für Lehrkräfte steht das Fach an sehr wenigen Universitäten auf dem Studienplan – wie werden die Pädagogen auf das Fach vorbereitet?
Ein Bildungssystem, das immer noch auf das Abprüfen von Einzelleistungen setzt, ist völlig falsch aufgestellt. Lehrveranstaltungen für Studierende und Weiterbildungen für Lehrpersonen versuchen deshalb, einen Raum zu schaffen, der die Menschen miteinander zu Themen in Kontakt bringt, die sie als gesamte Person betreffen, bei denen sie gemeint sind und aller Austausch jenseits von richtig oder falsch liegt.In den Lehr- und Weiterbildungsveranstaltungen zum Schulfach Glück geht es vor allem darum, die für den Unterrichtserfolg notwendigen Haltungen zu erzeugen. Das kann man nur schwerlich durch verschriftlichte, vorgefertigte Unterrichtsverläufe erreichen. Viel wichtiger ist es, anhand einer vorgegebenen Struktur aus innerer Überzeugung zu handeln, um mit den Menschen, die davon betroffen sind, eine vorurteilsfreie, offene, nicht bewertende, dialogische Denk- und Kommunikationsstruktur aufzubauen. Lehrkräfte sollen vor allem erfahren, dass sie Experten für den Lernprozess sind und den Rahmen für die Selbstbildung gestalten.
CC: Der Glücksunterricht hat sich bereits ausgeweitet: Die Fußballer der TSG 1899 Hoffenheim profitieren von diesem Konzept. Wie sieht die Arbeit mit den Sportlern auf dieser Ebene aus?
Im Mittelpunkt steht auch hier die Förderung der Persönlichkeit. Körperliche Fitness und gute Technik ist eben nicht alles. Vielmehr bedarf es auch einer mentalen Stärkung. Ein junger Fußballspieler, der sich selbst und seine Mitspieler bewusster wahrnimmt, wird nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch im Leben erfolgreicher als andere sein.
CC: Wir bedanken uns für das Interview
Das Interview führte Katharina Pahl
Curriculum vitae
Ernst Fritz-Schubert leitete als Oberstudiendirektor die Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg (2000 bis 2011) und hat das Schulfach Glück konzipiert und eingeführt. Er wurde 1948 in Fulda geboren, studierte von 1972-1976 Volkswirtschaftslehre und Jura in Heidelberg und trat danach in den Schuldienst des Landes Baden Württemberg ein. 2007 bis 2010 Zertifizierung zum Systemischen Therapeuten und Berater. Er ist Autor zahlreicher Zeitschriftenartikel, Bücher und Buchbeiträge und Referent auf nationalen und internationalen Konferenzen. Derzeit arbeitet er als Lehrbeauftragter der Universität Kassel und SRH Hochschule in Heidelberg.. Als ehrenamtlicher Direktor des nach ihm benannten Fritz-Schubert-Instituts erforscht und entwickelt er Methoden zur Persönlichkeitsstärkung. Weitere Informationen und Downloads unter www.Fritz-Schubert-Institut.de

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